Dann müssen wir nicht so lange warten …

… wenn wir anstatt Tinder direkt zu WhatsApp wechseln.

Puh.

Ob ich nun bei WhatsApp nicht schnell antworte oder bei Tinder den Dialog so dermaßen langweilig finde, dass meine Daumen die App schließen anstatt über das Buchstabenfeld zu fliegen, macht meiner Meinung nach einfach keinen Unterschied.

Für einige Männer scheint die Antwort darauf, ob ich nun zu WhatsApp wechseln möchte oder nicht, ausschlaggebend dafür zu sein, ob deren Daumen über Match auflösen schwebt oder nicht.

Na wenn das Auswahlkriterium so einfach ist: ich bevorzuge lieber das Kennenlernen in der anonymen App. Dort passiert es auch eher selten, dass ungefragt Dickpics in den Posteingang eintrudeln. Dass ungefragt sexuell anzügliche Nachrichten dort ankommen, lässt sich nicht verhindern. Aber dort kann ich dem leichter einen Riegel vorschieben. Match aufgelöst, der Nachrichtenverlauf verschwindet, ungebetene Texte ebenfalls. Problem solved. Bei WhatsApp gehören ein paar Schritte mehr dazu.

Wie oft erhalten eigentlich Männer ungefragt Pussypics? Und geben sich Männer gegenseitig Tipps, wie sie den Penis am besten ausleuchten können? Oder wie er auf einem Bild sogar kleiner und weniger einschüchternd aussehen kann? Und batteln sie sich Freitagabend in der Kneipe mit ihren Kumpels, wer die meisten Dickpics in der Woche verschickt hat? Ernsthafte Erfahrungsberichte erwünscht.

Wer im Mai 2020 (als Mann) von Männerwelten nichts mitbekommen hat, sollte dies zügig nachholen und nach den knapp 17 Minuten nicht einfach weiter wahllos swipen, sondern vielleicht mal darüber nachdenken, was das fürs Dating selbst bedeutet. Do your homework!

Ich möchte nicht nach wenigen nichtssagenden Nachrichten einfach meine Nummer rausrücken, um in einem beliebigen Messenger eine Unterhaltung fortzuführen, die nicht wirklich angefangen hat. Wenn das nicht verständlich ist, bietet es sich an, den Grund zu erfragen. Empathie zeigen. Eine Eigenschaft, die sicherlich hilfreich beim Dating ist. Vor allem dann, wenn im Profil des Anwärters steht, dass nicht nur der ONS gesucht wird.

Bei einem anderen Match verhält es sich komplett gegenteilig. Gematcht, non-stop geschrieben, zum Pandemievolkssport #1 Spazierengehen verabredet, festgestellt, dass es harmoniert. Und anstatt Nummern zu tauschen, schreiben wir einfach via Tinder weiter. Total ungezwungen. Es hat auch keiner bisher nach der Nummer des anderen gefragt. Und es funktioniert. Es ist so gemütlich, sich auf diese Art kennenzulernen und über den Pandemievolkssport #2, Videostreaming bis zum Abwinken (jeder bei sich daheim), zu sinnieren, neueste Filmempfehlungen auszutauschen, über Regisseure zu diskutieren, Buchvorlagen auseinanderzunehmen und über Twists in Serien zu rätseln.

Ob das alles ohne Pandemie auch so entspannt ist? Ob das Match überhaupt solange hält? Ich weiß es nicht.

Was ich bei aus diesen Begegnungen gelernt habe:

  • ich warte gerne
  • Bei Tinder hat sich nicht viel geändert
  • Männer, die fragen „Was machst Du schönes?“ fragen kurz danach oft nach der Nummer für WhatsApp (meine privatpersönliche Studie, die ich nur auf diese Weise veröffentliche)
  • Spazierengehen ist das perfekte erste, zweite, dritte und pandemisch gesehen n-te Date – Walk and talk

Hoch hinaus

Fridolin – oh Fridolin. Allein der Name hat mich fasziniert. Der Rest war wundersam und abseits des Dating-Mainstreams.

Fridolin schrieb immer zu den komischsten Uhrzeiten via Lovoo. Er schickte um zwei Uhr nachts Nachrichten, ich antworte morgens und so zogen sich Unterhaltungen tagelang, wenn nicht sogar wochenlang hin. Am Ende waren es wohl nur wenige Nachrichten, die sich jedoch über einen ellenlangen Zeitraum verteilt haben und mir das Ganze sehr viel intensiver erscheinen lassen als es wohl letztendlich war.

Normalerweise bin ich echt genervt, wenn ein Typ nach 2-3 Nachrichten direkt fragt, ob wir die Nummern tauschen wollen, da es ja via WhatsApp viel einfacher sei, zu schreiben. Den Sinn habe ich bis heute nicht verstanden, da Lovoo nichts anderes als ein Instant Messenger ist – Du kannst Texte versenden, siehst ein Profilbild und kannst Bilder verschicken. Einzig Sprachnachrichten fehlen wohl noch, wobei es gut sein kann, dass es diese mittlerweile dort auch gibt. Ich habe die App schon zugegebenermaßen seeeeehr lange nicht mehr benutzt, da sie immer niveauloser wurde. Oder der Nachrichtenstrom, der dort auf mich einhagelte. Vermutlich Ansichtssache.

In dem Fall wollte ich dann doch Nummern tauschen, da Lovoo auch gerne rumzickt und nicht alle Nachrichten informativ an mich weitergibt. Gruß an die Entwickler an dieser Stelle.

Nun die Überraschung: der Herr hatte einfach kein WhatsApp, geschweige denn überhaupt ein richtiges Smartphone. Er nahm vorlieb mit einem schlichten Handy mit einfacher SMS- und Telefoniefunktion. Sehr entschleunigend das Ganze. Also telefonierten wir. Jedoch auch selten und meist zur späten Stunde. Ich schon kurz vor’m Einschlafen, Fridolin wurde hellwach.

Wer sich nun fragt, wie er denn mit diesem schlichten Handy Lovoo bedienen konnte: Lovoo lässt sich auch am Laptop/Rechner bedienen und ein Smartphone ist nicht notwendig.

Wir haben es geschafft, uns ein einziges Mal zu treffen. Er schlug als Treffpunkt einen Aussichtsturm vor, der ganz in der Nähe war und den ich noch nie bestiegen hatte. Ich finde es ja immer hervorragend, gleich beim ersten Date mit meiner nicht vorhandenen Kondition zu glänzen und hechelnd neben einem Mann einen Berg oder unzählige Stufen zu einer Aussichtsplattform zu erklimmen. Diese Erinnerung verdrängte ich übrigens so erfolgreich, dass ich Jahre später erneut ein erstes Date mit ähnlicher Konditionsvoraussetzung blindlings zusagte.

Nachdem wir die Aussichtsplattform erkundet haben, sind wir im angrenzenden Wald spazieren gewesen, haben uns weiter unterhalten und fanden uns gar nicht so blöd. Jedoch ist es aufgrund der weiterhin zeitversetzten Kommunikation im Sande verlaufen. Schleichend. Und so ganz schlau wurde ich daraus auch nicht.

Ich frage mich bis heute, wieso er nur ein Handy hatte und kein Smartphone. Wieso er nur zu später Stunde erreichbar war. Bei mir gehen dann stets alle Alarmglocken an. Er hat Gehemnisse, sucht nur Spaß für nebenbei, usw. Ich werde es wohl nie erfahren. Ich hatte ihn sicherlich gefragrt, aber die Antworten müssen so nichtssagend gewesen sein, dass sie mein kleines Spatzenhirn längst wieder verdrängt hat oder diese Erinnerung mit einem weiteren Daten mit einem anderen Mann überschrieben wurden. Natürliche Erinnerungsselektion.

Was ich aus dieser Begegnung gelernt habe:

  • Für Handys finden sich weiterhin Abnehmer
  • Als Touristin in der eigenen Hood bin ich viel zu selten unterwegs
  • Das nächste Date sollte bitte in einer Umgebung stattfinden, bei der Google Maps mir sagt Größtenteils flach

Willst du mit mir…

…schaukeln?

Drei Tage, nachdem ich Dich kennengelernt habe, habe ich diesen Beitrag hier erstellt. Nur mit dieser einzigen Frage.

Heute, Monate später, sitze ich daheim, höre Abel dabei zu, wie er anpreist:

I don’t want to hurt you

Das entspricht dem, was Du auch wolltest: niemanden verletzen. Ich glaube, sobald zwei Menschen zueinander finden, egal in welcher Konstellation, besteht immer die Gefahr, dass sie sich verletzbar machen und auch in der Lage sind, zu verletzen. Ob gewollt oder ungewollt.

Hier passierte es ungewollt. Du wolltest nicht verletzen. Ich wollte nicht verletzt werden. Aber es passierte. Da mir meine Gefühle im Weg standen und mir aufzeigten, dass ich etwas will, was ich nicht haben konnte. So verletzte ich mich selbst.

Und Du? Ganz Gentleman, wolltest ständig darüber reden, wie wir damit umgehen sollten, anstatt den Kontakt einfach abzubrechen. So redeten wir und drehten uns ständig im Kreis, fanden keine Lösung.

Dann plötzlich stand der Kontakt still.

Suchte ich den Kontakt zu Dir, so wiesest Du mich darauf hin, dass es mich emotional aufwühlte, mit Dir Kontakt zu haben. Ignoriertest meine Nachrichten. Ob Du diese ignoriertest, weil Du keinen Kontakt mehr mit mir wolltest, zu feige warst, ihn endlich abzubrechen, weiß ich nicht. Es war trotz Kontaktabbruch ein Nachrichtenaustausch in Slomo.

Vielleicht in Slomo, weil FoMO?

Jede Woche habe ich mich neu in Dich verliebt. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, dass ich verliebt war. Meine langjährige Freundin, die mich gut genug kennt und fast jeden Mann, an dem ich mein Herz verloren habe, mit mir ausgiebig analysiert hat, sieht es mir an der Nasenspitze an, welche Gefühle ich habe und wie ich Menschen bei mir einstufe oder in welche Schublade ich sie packe. Und nach wenigen Sätzen, die ich über Dich gesagt hatte, fragte sie mich, ob ich mir sicher bin, dass ich nicht in Dich verliebt bin.

Mit der Erkenntnis saß ich dann daheim auf meinem Balkon und musste diese Tür der Verliebtheit für mich öffnen. Sie platzte sowieso schon aus dem Rahmen.

So leuchteten meine Augen, wenn ich von Dir erzählte. Leuchteten, wie sie sonst nicht leuchten. Freunde, die mich lange genug kennen, erkannten besser als ich, dass ich Gefühle (für Dich) hatte, vor denen ich sonst Angst habe (ja, Angst, weil es am Ende doch nicht gut ausgeht). Sprachen mich darauf an und ich ließ es zu, dass mich diese Gefühle durchfluten und ich grinsend von Dir erzählte.

Wie soll ich auch nicht in Dich verliebt gewesen sein? Ich hörte ununterbrochen von Dir. Der Kontakt war ständig da. Morgens, mittags, abends, selbst nachts… Du hast Dich in mein Leben gesneakt. Mir viel erzählt, nicht alles. Ich habe Dir viel erzählt, nicht alles.

Jetzt sagst Du mir, all das hast Du nur getan, weil ich es wissen wollte? Ja, natürlich wollte ich das. Aber wolltest Du es nicht mit mir teilen? Fühltest Du Dich gezwungen, mir all das zu erzählen? Teilst Du es mit jedem? Hast Du mit jedem diese Agenda? Diese Agenda, die wir nie vollständig abgearbeitet haben, da sie einfach immer gewachsen ist? Ständig von einem Thema zum nächsten springend, Themen vertagten, da die Zeit rannte, um wirklich alles zu besprechen. Morgens um drei vor der S-Bahn-Haltestelle, an der wir schon vor Stunden ausgestiegen sind, uns nur noch kurz unterhalten wollten, aber die Zeit einfach rasend weiter rannte, während wir nonstop redeten.

Dich kurz nach Hause bringend, vor Deiner Wohnung im Auto sitzend, einfach weitere zwei Stunden die Agenda durchgehend, während das Autodisplay 3 Uhr anzeigte und ich wusste, der Wecker klingelt um kurz nach 5 Uhr. Du hieltst mich wach.

Hieltst mich mit Deinen Nachrichten, mit Deinen Themen, mit Deinen Problemen, mit so, so, so vielen Dingen wach.

Und ganz plötzlich müde, habe ich mich losgesagt. Habe das nicht mehr ausgehalten. Diese Sucht, nach Dir, nach den Nachrichten, dem Kontakt. Ich habe alles nach Dir ausgerichtet, wie wahnsinnig. Ich habe mich selbst nicht mehr erkannt.

Das Lossagen von Dir war eine qualvolle Erlösung. So traurig fühlte ich mich lange nicht mehr. Unkontrolliertes Geheule, daheim, in der Bahn, im Büro, eine ständige unerfüllte Sehnsucht, die mich schmerzvoll durchfuhr.

Aber es geht vorbei, ging vorbei.

Die Agenda liegt irgendwo vergraben, unvergessen und verstaubt. Vielleicht wird sie abgearbeitet, ohne diese Sucht. Du bist wie eine Chipstüte, die ich nicht weglegen kann. 24/7. Du hast mich nonstop beschäftigt.

So fing auch unser Kennenlernen an. Unser erstes Treffen dauerte über 12 Stunden. Ganz unverfänglich, mit Bier und dem üblichen Smalltalk. Ich sah Dich im Augenwinkel und dachte mir „sprich mich nicht an, sprich mich nicht an“, doch Du sprachst mich an. Und so hangelten wir uns vom endenden Straßenfest weiter in die Kneipe, von der Kneipe weiter zum türkischen Imbiss zum Tee trinken, die kurze Überlegung, in die nächste Großstadt zu fahren, um dort am bekanntesten Kiosk der City Bier zu trinken (der hatte leider schon zu), weiter zum Spielplatz und dort in einer Vogelnestschaukel liegend, frierend, den Abend nicht beenden wollend, suchten wir mein Fahrrad, Dir ein Fahrrad, und cruisten zu mir. Tranken kalten Tee, gingen ins Bett, küssten uns ein erstes Mal…

In dieser Nacht ging ein Schalter an. Der Schalter steht mittlerweile auf Aus. Ich hoffe, er hat keinen Wackelkontakt.

Was ich bei dieser Begegnung gelernt habe:

  • Jede Geschichte hat zwei Seiten – die sind nicht deckungsgleich, aber ich mag meine Seite.
  • Schlaf wird unnötig sobald die rosarote Brille die Augenringe verdeckt.
  • Es ist immer gut, genug Filme auf der Empfehlungsliste stehen zu haben.
  • Das erste Mal Verliebtsein ohne Hormonzufuhr durch die Antibabypille ist für mich persönlich eine komplette Achterbahnfahrt und eine neue Erfahrung gewesen.
  • Das erste Mal Liebeskummer ohne Hormonzufuhr durch die Antibabypille ist für mich persönlich eine komplette Achterbahnfahrt und eine neue Erfahrung gewesen.
  • Jeder braucht seine Zeit, um die zerbrochenen Stücke seines Lebens, das er vorher hatte, zu flicken.

Take your time!

Heimatdating

Mein erstes Date in meiner alten Heimat. Mit einem Mann, der dortgeblieben und aufgewachsen ist, in einem neuen Bundesland, während ich für den Großteil meiner Familie mittlerweile offiziell ein Wessi bin.

Meine Familie, die teilweise drüben lebt und auch das Bild, welches die alten Bundesländer von dort haben, durchaus zeitweise verkörpert (sehr, sehr braun), bringen mich mit ihren Gedankengängen oft zur Weißglut. Und so gestalten sich die Begegnungen mit ihr manchmal durchaus schwierig. Dies war beim jährlichen Familienbesuch erneut der Fall und so suchte ich mir spontan ein Tinder-Date in der näheren Umgebung. Es sei gesagt, dass im schönen Erzgebirge der Radius bei Tinder ganz schnell erweitert werden muss. Sich dort durchzuwischen geht ruckzuck und es erscheint die Meldung:

Keine neuen Leute in deiner Umgebung.

Dahingegen kann ich in meiner Wahlheimat oft zu den Dates hinlaufen oder ich schnapp mir mein Fahrrad, ’ne Flasche Wein und radel in Jogginghose zum spontanen Quickie. Hier muss ich mich, nach einem Tankanzeigencheck, eher durch wunderhübsche Alleen mit dem Auto schlängeln, um irgendwie, irgendwo und irgendwann mein Tinderdate zu treffen.

Diesmal war das angesetzte Date eher eine private Feldforschung, um herauszufinden, ob Menschen in meinem Alter, die nicht wirtschaftsgeflüchtet sind wie Teile meiner Familie, auch so eine beschränkte Denke an den Tag legen, wie es ich es bei meinen ansässigen Verwandten feststellen muss.

Was der Bauer nicht kennt, frisst datet er nicht. Das war so in etwa die Erkenntnis des Dates. All das, was ich immer in Zeitungsartikeln gelesen oder in Reportagen gesehen und gehört habe, kam eins zu eins aus dem Mund von Sandro. „Wir haben Angst vor denen“ (vor wen oder was genau eigentlich?), „wir verstehen sie nicht“ (probiert ihr es überhaupt?), „sie nehmen uns alles weg“ (Frauen und die Jobs [Ironie]?), und so ging der Tenor weiter.

Nachdem ich jedes seiner sogenannten Argumente hinterfragt habe, kamen plötzlich keine Antworten mehr, die Hand und Fuß hatten. Und auf die Frage, ob er denn schon mal mit „diesen“ Menschen verschiedener Herkunft zu tun hatte, kam auch nur ein nein. Bis Sandro eingefallen ist, dass er beim Fahrradladen seines Vertrauens auf zwei junge Männer getroffen ist, die das gleiche Problem hatten wie er: das Fahrrad musste repariert werden. Während er das so erzählte, ist ihm wohl selbst kurz aufgegangen, dass es Menschen wie Du und ich sind, die auch mit gleichen Problemen im Alltag zu kämpfen haben, neben zusätzlich zum Rassismus.

Ich konnte ihn sicherlich nicht bekehren und all seine Bedenken zerstreuen, die ihm selbst im Weg stehen. Dafür hat er auch genug andere Probleme. Er ist Single, fühlt sich einsam, hat sich von seinen Eltern, Zeugen Jehovas, überreden lassen, dass angrenzende Grundstück zu kaufen, damit kein „Fremder“ der neue Nachbar seiner DNA-Geber werden und hat diesbezüglich nun finanziell das Hobby, alles im dortigen Eigentum zu erneuern. Ein Mann, der nicht nur bei sich selbst regelmäßig Hand anlegt, sondern auch weiß, wie man den Zaun so anbringt, dass der Nachbar Vater nicht schimpfend die Arbeit kritisiert. Ein Familienmensch, der seinen Eltern gezwungenermaßen sehr, sehr nahesteht.

Dies wird wohl meine einzige Erzgebirgstindererfahrung bleiben, da diese schon gereicht hat. Sandro hatte übrigens zwei Flaschen Bier getrunken und fühlte sich dann nicht mehr in der Lage, nach Hause zu fahren. Ich habe also Taxi gespielt un konnte mir das schöne Grundstück samt familienangrenzendem Gelände im Strahl meiner Scheinwerfer anschauen. Körperlich näher gekommen sind wir uns absolut nicht. Er war glücklich, dass er mal mit „eine Frau von Welt“ reden durfte und ich erhielt Einblick in die Gedankenwelt eines gleichaltrigen Daheimgebliebenen.  

So ganz vergessen war unsere Unterhaltung bei ihm im Kopf dann doch nicht. Er hat gefragt, ob er mich anlässlich seines Geburtstages besuchen dürfte, um mein Umfeld kennenzulernen. Schließlich wohne ich in einer Stadt „von Welt“, in der über 150 Nationalitäten daheim sind. Was wäre ich denn für ein Mensch, wenn ich diese Anfrage ablehnen würde.

So spielte ich Fremdenführer in der eigenen Stadt, gekrönt mit einer Geburtstagsfeier eines Freundes, der laut Herkunft auch hier und da zuhause ist, und dort war erschreckend schön zu sehen, was viele Menschen einen kann: Alkohol. Denn plötzlich liegen sich alle in den Armen (vielleicht später in den Betten), unabhängig von Kultur, Geschlecht, Nationalität und Herkunft.

Was ich aus dieser Begegnung gelernt habe:

  • Familie kann sich keiner von uns aussuchen
  • Freunde hingegen schon
  • Tinder ist immer wieder für Überraschungen gut
  • Tinder unterstützt einen hervorragend bei der Flucht vor der eigenen Familie
  • ich schreibe nun in mein Profil „Frau von Welt sucht Mann mit Heimat“

Vorstellungsgespräch

Ein neues Match – ein neuer Versuch. Die Suche nach einem passenden Mann wird einfach nie langweilig. Die ersten Nachrichten werden meist auf der Online-Dating-Plattform ausgetauscht. Da es einigen Männern jedoch zu anstrengend ist, dort weiter zu kommunizieren, wird schnell auf den Messenger der Wahl (meist WhatsApp) gewechselt. So auch hier. Die wenigsten Männer rufen dann übrigens einfach an. Schon erstaunlich, meiner Meinung nach, da es so viel einfacher ist, gerade am Anfang, herauszufinden, ob es passen könnte, wenn wir zum Hörer greifen anstatt in die Tasten zu hauen und uns die Autokorrektur doch das Wort auf dem Display verdreht. Also wenn schon die Nummern tauschen, dann sollte es auch bestens ausgenutzt werden.

Der Herr wagte sich dann mit einer Sprachnachricht vor. Das lag ihm ehrlich gesagt, aufgrund der fehlenden Interpunktion, besser. Und so bekam ich auch gleich einen Eindruck von seiner Stimme.

Einen Tag später rief er dann tatsächlich auch einfach an, sogar ungefragt (ja, das ist laut meiner Statistik selten). Da ich eh nur auf der Couch lag und meinem Netflix-Dasein gefrönt habe, kam mir die Abwechslung ganz gelegen. So haben wir uns doch sehr lange über unterschiedlichste Themen, seinen Berlinausflug, meinen gleichzeitig stattfindenden Roadtrip zu meiner Familie und Getränkevorlieben im Allgemeinen unterhalten. Und spannenderweise auch gar nicht über unsere jeweiligen Jobs, was ich sehr erfrischend fand. Denn meist ist es bei all dem Kennenlernen die gängigste Frage „was machst Du eigentlich beruflich?“, um dann nach meiner Antwort doch nicht mehr wirklich zu verstehen, was ich da tue und häufig sind die Männer dann eingeschüchtert davon. Immerhin weiß ich dann gleich, woran ich bin und kann mir die Zeit sparen bzw. selbige nutzen, um einen Partner zu finden, der sich auf Augenhöhe bewegt und mich gerne auch unterstützt bei dem was ich, nicht nur beruflich, tue.

Unser doch amüsantes Telefonat bezeichnete er als Pilotfolge einer Serie und fragte mich, wie ich diese denn nun bewerte. Ein interessanter Vergleich, wie ich fand, und ich willigte ein, die Serie fortzusetzen und der zweiten Folge eine Chance zu geben.

Die Gelegenheit dazu nahmen wir am selben Abend noch wahr. Ich war zunächst mit einer Freundin zum frühen Abendessen beim Taiwanesen verabredet (Randnotiz: Hotpot kann ich empfehlen) und rief ihn danach für einen Sonntagabenddrink an. Vom lästigen Schreiben sind wir ja nun abgekommen und bedingt durch die Jahreszeit war es eh zu kalt, um draußen lange zu tippen, wo und wie und wann wir uns denn nun treffen sollten.

Ich schlug seinen Heimatort vor, da ich dort eh gerade war und er meinen, da er dort sein Büro hat, welches er noch aufsuchen wollte – an einem Sonntag. Sein Büro als Treffpunkt für ein erstes Date vorzuschlagen finde ich irgendwie bequem. Wenn jemand gleich seine Wohnung/meine Wohnung vorschlägt, ist meistens klar, worauf das Ganze hinausläuft. Da mir selten Büros vorgeschlagen werden (es scheint das erste Mal zu sein oder mein Gedächtnis lässt mich im Stich), weiß ich nicht, wo genau das nun einzuordnen ist.

Ich willigte ein und dachte mir, dass sein Büro sowieso auf dem Heimweg liegt und ich auch einfach früher abziehen könnte, wenn die Fortsetzung nicht mehr ganz so interessant wird und ich der Serie keine weitere Chance geben möchte. Ist ja auch unangenehm noch ein Getränk lang in der Bar zu sitzen, wenn ich mich doch nicht richtig wohlfühle. Gab es alles schon…

Ich habe die Adresse in meine Navigationsapp eingegeben und in der Vorschau wurde mir angezeigt, dass sich an dem Zielort unter anderem eine Firma befindet, die sich auf Recruiting und Personalvermittlung spezialisiert hat. Kurz die Homepage gecheckt und auf den Bildern gesehen, dass es sich bei dem CEO um mein Tinderdate handelt. Somit bekam ich schon einen kleinen Vorgeschmack auf die nächste Episode.

Ins Auto gehüpft und ab ging es einen Ort weiter in das schöne Büro, durch das ich zunächst eine Führung bekam, die Tischanordnung lobte, die installierten Kunstobjekte bewunderte, sogar fotografierte, und die abgesessene Couch kritisierte. Auf der nahmen wir zum Glück nicht Platz, sondern wir machten es uns an einem Hochtisch im offenen Aufenthaltsbereich, mit unbesetztem Empfang im Rücken, bequem. Der Kühlschrank hielt Biermischgetränke für uns bereit und er platzierte noch einen Aschenbecher in der Mitte, damit er sich in Ruhe einen Joint drehen und rauchen konnte.

Das war dann der erste Moment, bei dem ich dachte, dass diese Serie mir nicht so ganz zugesagt. Aber vielleicht war er ja nur nervös und musste sich irgendwie beruhigen. Ggf. wirk(t)e ich einschüchternd, man weiß es nicht…

Ein Date ist eigentlich nichts anderes als ein Vorstellungsgespräch. Man erzählt über sich, macht sich interessant, könnte es passen, hört dem anderen zu, passt er/sie zu mir, kann ich mir vorstellen, mit ihm/ihr weiter Zeit in diesem Aufenthaltsraum mit Bier und Kaffee zu verbringen und über Serien zu debattieren?

Konnte ich in dem Fall tatsächlich nicht, weswegen ich ihn dann über seine Firma ausfragte, was er da genau tut, wen er vermittelt, wer seine Kunden sind, und so weiter. Natürlich mit der Intention, ein Jobangebot zu ergattern oder zumindest mal die Fühler auszustrecken. Ich riss dann noch kurz an, was ich derzeit beruflich mache und da kam er selbst auf den Trichter, sich meinen Lebenslauf genauer anzuschauen. Ich strich für mich für diesen Abend innerlich den Titel First Date durch und ersetzte ihn mit Job Interview. Wenn ich den Abend schon nicht für die eine Suche ordentlich nutzen konnte, dann vielleicht für die andere.

Als ich mich dann verabschieden wollte, da ich tags darauf wieder die Reise nach Weit-Weit-Weg in aller Frühe antreten durfte, fragte er mich ob es denn eine dritte Folge geben wird. Da ich schon freudig mitgeteilt habe, dass ich gerne ehrlich bin, antwortete ich hier entsprechend und gab ihm Feedback, dass ich an dieser Serie kein wirkliches Interesse habe, da sie mir nicht ganz zusagt. Und dass es mich doch sehr irritierte, dass er so freizügig über seine Vorliebe für Vintage-Pornos geredet hat. Beim ersten Treffen.

Was ich aus dieser Begegnung mitgenommen habe:

  • nur weil die Pilotfolge gut war, muss der Rest nicht auch so sein (eigentlich nichts Neues)
  • ich warte immer noch auf ein Jobangebot von ihm, bekomme aber lediglich Anfragen, ob ich mit ihm in die Therme gehen möchte (hier nehme ich die Thermenempfehlungen mit, gehe aber am Ende mit jemand anderem hin^^)
  • die Frage, wann es denn zeitlich passend(er) ist, über Retro-Pornos zu reden
  • die Frage, ob Frauen auch häufig schnell von der Online-Dating-Plattform ihrer Wahl auf einen (persönlicheren) Messenger wechseln wollen

Wasserfallromantik

Hier bekommst Du jetzt leider keine Geschichte darüber zu lesen, wie ich bei meinem Aufenthalt an den Niagarafällen meinem Traumprinzen (who dat?) in die Arme gefallen bin und wir uns auf der Aussichtsplattform, beide kostümiert mit kunterbunten Regenponchos, um bloß nicht auf das falsche Touristenboot oder im falschen Land zu landen, unter johlendem Applaus aller anderen Mitbesuchern geküsst haben.

Als feucht würde ich die kurzweilige Begegnung dennoch bezeichnen. Der Kuss in der Vertikalen bereitete keine Schwierigkeiten. Der Wechsel in die Horizontale löste bei ihm jedoch einen körperlichen Effekt aus, der mir so noch nicht untergekommen ist. Der ein oder andere nasse Küsser ist mir schon untergekommen, aber das hier nahm humide Zustände an. Wenn das Leben Hintergrundmusik abspielen würde, hätten wir hier zu Waterfalls in seinem kleinen Apartment versucht, irgendwas zustande zu bekommen, während ich versuchte, nicht zu ertrinken.

Der Austausch von Körperflüssigkeiten ist eine feine Sache, aber nicht, wenn es plötzlich eine Meldung in den Nachrichten wert wäre:

Speichelniederschlagsmenge erreicht neuen Rekord!

Der einzige Vorteil, den ich da gesehen habe, ist Cunnilingus. Nur hatte er daran kein Interesse.

„Ist nicht so mein Ding – aber wie wäre es mit Fellatio?“

Was ich aus dieser Begegnung mitgenommen habe:

  • Gefühlt mehr Speichel in meinem Körper als vor dem Besuch
  • Speichel besteht zu 95% aus Wasser
  • Pro Tag sondert ein Mensch etwa 0,6 bis 1,5 Liter Speichel ab (er sollte seinen Körper der Wissenschaft spenden, es fühlte sich nach so viel mehr an)

Happy Sucks

Freitagabend – ich sitze daheim und überlege, ob ich alten Gewohnheiten nachgehe und dabei höre ich die Stimme meiner Freundin im Ohr, die mir sagt Don’t go down that rabbit hole again. Ich war schon auf dem Weg dorthin, bin kurzfristig abgebogen und somit sage ich Willkommen bei diesem Blogeintrag, in dem es nicht um Kaninchenlöcher oder um meine einzige Geschichte geht.

Tinder, links, rechts, Match, ein kurzer, knackiger Smalltalkverlauf:

Ich: Hey, wie geht’s Dir? Was machst Du heute?

Er: Ich hab‘ Lust auf ein paar Kuscheleinheiten. Was ist mit Dir?

Ich: Ich hab‘ Lust auf Wein.

Er: Vielleicht lässt sich das kombinieren?

Ja klar, hier meine Adresse: Kaninchenfreier Hof 69…

Ding Dong – er steht mit zwei Weinflaschen vor der Tür. Vorrat ist bekanntlich der beste Rat.

Viele Stunden des Kennenlernens, mehr als zwei Weingläser, einige Zigaretten und eine tiefgründige Unterhaltung über seine abgefahrenen Socken später haben wir es geschafft, sportlich gegen die Alkoholkalorien anzukämpfen. Die Zigarette danach, Abschiedskuss und er geht.

Manchmal ist es so herrlich unkompliziert einfach und genau das, was ich an einem Overthinkingabend brauche, um die Gedanken verschwinden zu lassen, die sich wie ein grauer Schatten über die gesamte Wer-bin-ich-und-was-mache-ich-hier-eigentlich-Situation legen wollen. Ein Abend voller Ablenkung (und witziger Socken) bewirkt wahre Wunder.

Die Gedanken selbst, durcheinander gebracht dank Sex und Wein, sortieren sich die Tage über wieder neu und so lässt das nächste Abenteuer nicht lange auf sich warten.

Da er zu faul ist, seine Wohnung zu putzen, bevorzugt er stets den Besuch bei mir, was mir recht sein soll. Die Wochen fließen dahin, wir senden uns Booty-Call-Nachrichten, nicht jeder Anfrage können wir nachkommen, er beschäftigt, nicht da, ich beschäftigt, nicht da, doch ab und an steht er vor der Tür und mein erster Blick, nachdem er die Schuhe ausgezogen hat, geht immer zu seinen Socken, da die echt faszinierend sind. Es wird ist kein Fetisch, versprochen!

Wenn wir dann doch mal Zeit füreinander finden, fragt er jedes Mal an, ob ich denn schon nackt bin, wenn er vorbeikommt. Stets sage ich ja, aber halte mein Versprechen nicht. Gleiches gilt für ihn. Es wird zum Running Gag.

Es ist Sommer – er steht vor der Tür und trägt… Flip Flops. Schwere Sockenfangirlenttäuschung steht mir ins Gesicht geschrieben. Ich lasse ihn dennoch in die Wohnung, er kickt die Schuhe in die Ecke, zieht sich kommentarlos aus, zieht mich an sich ran, küsst mich und ab geht’s. Das erste Wort hat er erst gesagt, nachdem wir um die Wette geschwitzt haben.

Irgendwann schafft er es, seine Wohnung zu putzen. Und da er sowieso zu faul ist, zu mir zu kommen, darf ich ihn besuchen. Premiere!

Ich habe erwartet, diverse Sockenbestellkataloge, Verpackungen, Poster, Flyer und ähnliches zu finden, aber es ist nur eine 0815-Junggesellenbude ohne Küche. Wer braucht schon eine Küche, wenn er eh nie zuhause ist? Wenn ich es mir recht überlege, könnte die leere Küche ein Sockenankleidezimmer werden. Der letzte Schrei auf jeder Einrichtungsmesse.

Ein weiterer Booty Call, er lädt mich zu sich ein. Sagt, er geht noch kurz duschen. Ich warte auf einen Ping. Frage nach 30 Minuten an, ob er noch ein Zeichen von sich gibt, wann ich losfahren kann. Er sagt, er wartet schon nackt. Ja, als ob…

Er wohnt in einem Hinterhaus und muss die Haustür eigenhändig öffnen. Ich stelle es mir witzig vor, wenn er dort unbekleidet steht, mich erwartet und ihm der Postbote oder Pizzalieferant in die nackten Arme läuft. Oder aber gerade der Nachbar durch den Spion schaut und seinen Knackarsch im Visier hat. Da bekommt Schöner wohnen gleich eine ganz neue Bedeutung.

Ich düse also zu ihm, betätige den Klingelknopf an der Straße, er drückt auf, ich laufe gemütlich zum Hinterhaus, aber da steht heute keiner. Dafür ist die Tür offen, es ist schon dunkel. Ich finde den Lichtschalter nicht, schmeiß‘ die Taschenlampe am Handy an, laufe die Treppen hoch, überlege kurz, ob er im ersten oder zweiten Stock wohnt (ich bin echt selten dort), stehe vor der Tür im ersten Obergeschoss und sie ist nur angelehnt. Ich drücke sie mit der einen Hand auf, leuchte mit der anderen Hand samt Handy hinein und was sehe ich? Sockenfreie Füße und einen nackten Mann, der mir grinsend mitteilt Ich halte meine Versprechen.

Was ich aus dieser Begegnung mitgenommen habe:

  • Socks don’t lie
  • Klorix ist kein gutes Putzmittel – es entsteht der Eindruck, dass die Spuren eines Verbrechens in der Wohnung entfernt wurden (Serienkillerfantasien)
  • Reden bei Booty Calls ist ganz klar überflüssig
  • Wenn ich Socken verschenken möchte, ist er der richtige Sockenkaufberater

Gewissensbisse

Wir liegen beide nackt im Bett, er schläft, ich bin wach, es ist kurz vor 6 Uhr, Zeit, aufzustehen, obwohl wir gerade erst ins Bett sind. Nicht, um zu schlafen.

Ich ziehe mich an, wecke ihn, damit er nicht hochschreckt, wenn die Tür ins Schloss fällt. Er wacht auf, sieht mich, sieht an sich runter, merkt, dass er nackt ist, wird panisch, steht auf, sucht seine Boxershorts, will in dem kleinen Hotelzimmer Schutz suchen, im Bad, findet die sichere Tür nicht, ich halte ihn fest, frage, was los ist… er sagt, er muss hier weg. Ich nehme seinen Kopf, schaue in seine Augen und sage „es ist alles ok – ich gehe jetzt – wir sehen uns später im Büro“, küsse ihn auf die Wange und gehe.

Auf dem Weg in mein Hotel hagelt es plötzlich SMS, von wegen, wie solle er das seiner Freundin erklären, was haben wir nur getan, was ist passiert usw.

Ich antworte „es ist nichts passiert, alles cool“, mache mich fertig, packe meinen Koffer, checke aus, fahre ins Office, starte in den Tag, leicht müde und verkatert, und er ist auch da. Schaut mir den ganzen Tag nicht ins Gesicht, hat vielleicht die Szenen der letzten Nacht vor Augen, in denen er mit mir schläft, sich von mir die Frage gefallen lassen muss, ob er schon mal eine Frau zum Orgasmus gebracht hat, welche er verneinen muss, ich ihn führe, seine Hand nehme, ihm zeige, was mir gefällt, ich komme, er nicht, er einschläft, ich wach bleibe, ich gehe, er mit seinen Gedanken im Zimmer bleibt.

Kennengelernt haben wir uns beruflich, beide wohnlich sehr weit voneinander entfernt haben wir stets nur via Messenger kommuniziert, uns nie gesehen, da wir beide in unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Neben all den Businessthemen, die wir abgeklappert haben, sind wir irgendwann dazu übergegangen, private Themen zu besprechen. Er fragt nach meiner Beziehung, ich nach seiner, was haben wir an den jeweiligen Wochenenden gemacht und so entwickelte sich die typische Berufsehepaarkonstellation, nur in digitaler Form, da wir uns nie gesehen haben und die auch, wie manche Ehe, nach und nach einschläft.

Bis zu dem Tag, an dem wir beide in einer südliche Großstadt auf eine Veranstaltung eingeladen sind, uns dort am Bahnhof treffen, gemeinsam in die nebeneinanderliegenden Hotels fahren, zur Abendveranstaltung gehen, dort unsere sprachliche Office-Ehe aufleben lassen, ansprechen, dass ich Single bin, er weiterhin in seiner Beziehung glücklich zu sein scheint.

Nach dem offiziellen Abendprogramm geht es weiter, in kleinerer Runde, ins Pub, danach in einen Club, in dem eine Studentenparty stattfindet, es rammelvoll ist, wir uns immer näherkommen, gezwungenermaßen, tanzend, flirtend, dennoch mit klitzekleinem Sicherheitsabstand, nur ab und an eine scheinbar zufällige Berührung.

Irgendwann ist es zu spät, zu heiß, zu laut, wir zu müde, wir wollen gehen, fragen den Rest der Truppe, keiner will mit, wir teilen uns ein Taxi, ins Hotel, seins, noch ab an die Bar, wir reden, trinken, schauen uns vielsagend in die Augen, wechseln zum Sexthema, er erzählt, dass seine Freundin ihm nicht mehr den Spaß im Bett bietet, den er möchte, braucht, wir reden uns heiß, finden uns anziehend, wissen es beide, sprechen es aus, es passiert – nichts.

Er bringt mich in mein Hotel, bleibt vor der Tür zurück, ich gehe grinsend schlafen, eine kurze Nacht, am nächsten Tag ab ins Office, straffes Programm, wir erarbeiten gemeinsam Themen, reden, als ob nichts gewesen wäre, kein Flirt, keine Sexgedanken.

Mittagspause, ich habe kurz Zeit für mich, checke meine Nachrichten, im Messenger, dem beruflichen, plötzlich erscheinen Nachrichten, von morgens um 4 Uhr. „Siehst Du, alles cool. – Nichts passiert. – Ich kenne schließlich Deine Zimmernummer nicht.“.

Zurück zur Tagesordnung, nichts anmerken lassen, die Nachrichten einfach ignorieren, darüber sinnieren, was ich letzte Nacht wohl verpasst habe, das Gewissen einschalten, das ihn und seine Freundin vor meinem inneren Auge erscheinen lässt, den Tag ausklingen lassen, heimfahren, Haken dran und weiter gehts.

Sechs Monate später, zurück ins Hier und Jetzt: wir beide nackt im Hotelzimmer. Tags zuvor gab es einen Workshop, an dem wir noch nicht viele Berührungspunkte hatten, erst abends fanden wir zueinander, zunächst nur Bier trinkend, dann wieder tanzend, erneut in der Hotelbar. Same procedure as every time.

An der Hotelbar waren wir diesmal nicht allein, es war ein weiterer Kollege mit uns dort, der irgendwann auf Toilette verschwand. Den Moment nutzten wir, um uns auf den ersten Kuss zu einigen, alkoholgetränkt, was natürlich keine Ausrede ist. Weder für mich Single, noch für ihn Vergebenen. Was wir in dem Moment beide wollten, war klar. Sex. Den es gab. Und sich dann herausstellte, dass er eigentlich keine Ahnung von dem hat, was er da tut. – Another one!

Im Laufe des Tages wirkt er desillusioniert, abwesend, verstreut, nicht bei der Sache, reagiert selten und ignoriert mich völligst. Bis wir in einem Büro gemeinsam ein Thema erarbeiten müssen, ich ihn direkt anspreche, Bezug nehme auf etwas, was er zuvor in großer Runde gesagt hat. Der Moment läuft wie in Zeitlupe ab. Während ich ihn direkt anspreche, schaut er ins Leere. Als er antwortet, fährt sein Kopf langsam hoch, seine Augen finden meine, er antwortet monoton, sein Mund spricht, er schaut an mir vorbei, der Blickkontakt ist vorüber, er schaut wieder weg.

Der Tag geht vorbei, alle verabschieden sich, er kommt zu mir, gibt mir die Hand (was diese zwölf Stunden vorher gemacht hat, weiß ich noch gut), wünscht mir eine gute Heimreise und verschwindet.

Was ich aus dieser Begegnung gelernt und mitgenommen habe:

  • never fuck the company (es ist jedes Mal kompliziert)
  • der Messenger benötigt dringend ein Update
  • zum Sex gehören immer zwei dazu und den schwarzen Peter lasse ich mir anlässlich seines Fremdgehens nicht zuschieben
  • er ist Meister des Verdrängens oder aber er hatte den Blackout seines Lebens und konnte deswegen ohne Gewissensbisse seine Freundin ehelichen (Glückwunsch an der Stelle), da ist er aber nicht der Erste und nicht der Letzte
  • dem Kollegen, der uns dabei gesehen hat, wie wir beide in sein Zimmer verschwunden sind, weismachen zu wollen, dass ich mir nur das kleine Badezimmer anschauen wollte, konnte er sich schenken, denn da hätte er ihm gleich sagen können, dass er mir seine Briefmarkensammlung zeigen möchte.
  • technische Beratung habe ich zuhauf von ihm angenommen und bin nun dank ihm Besitzerin einiger toller Gadgets, die ich beinahe täglich nutze

Gesichtsgulasch

Online-Dating ist ein sehr oberflächlicher Zeitvertreib. Bevor ich überhaupt ein Wort mit dem Typen gewechselt habe, sehe ich meist nur Bilder, mittlerweile auch kurze Videos. Wenn es gut läuft, ist das Profil vielleicht noch einigermaßen mit Text bestückt und ich kann mir einen ersten Eindruck zu den Fotos und den wenigen Zeilen machen. Dass der nicht immer stimmen muss, hat sich ja auch schon hier und da bestätigt.

Was ich mir jedoch schlecht vorstellen kann, ist das Gesicht, welches er wohl beim Sex macht. Und dieses Gesicht, das zweite oder dritte, wie immer es auch heißen mag, taucht eben doch erst auf, wenn es ans Eingemachte geht.

Und genau da hat sich das wunderschöne Gesicht meines spontanen Dates (16 Uhr Erstkontakt und um kurz nach 21 Uhr stand ich unter meinem Regenschirm vor seiner Tür) in etwas verwandelt, was mir bei anderen Begegnungen nie so erschienen ist oder bewusst war. Bevor wir uns so nahegekommen sind, habe ich das Gesicht und den Rest dazu ausgiebig begutachtet und es als tauglich für belanglosen Sex empfunden. Doch der Moment der körperlichen Anstrengung benötigte all seine Gesichtsmuskeln, die das bisher attraktive Antlitz in etwas verwandelten, was mich kurzweilig an eine Szene aus The Walking Dead erinnerte. – Hallo Oberflächlichkeit! Auf Wiedersehen Date für gewisse Stunden!

Was ich aus dieser Begegnung mitgenommen habe:

  • Die Praxis diverser Sexstellungen, bei denen wir uns nicht ins Gesicht schauen mussten
  • Den Zeitvertreib, bevorzugt in der Bahn, mir das jeweilige Sexgesicht meiner Mitmenschen vorzustellen
  • Die wirklich wichtige Frage: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat das schönste Sexgesicht im ganzen Land?“
  • Die Fotoserie von Marcos Alberti, der Frauen vor, während und nach dem Höhepunkt ablichtet

Karteileiche

Ok, Cupid. Was ist da los? Erst schickst Du mir einen Mann vorbei, der plötzlich anders ist als die ganzen Tinderhasen, nur um mir dann zu zeigen, dass er eine kleine Midlife-Crisis hat und schwupps, ist er wieder weg. Danke!

Gut, dass es noch einen Pool an Singlemännern gibt, die vielleicht auch in die Kategorie fallen, dass sie es ernst meinen könnten. Entsprechend habe ich mein Profil bei OkCupid reaktiviert, um zu schauen, was die Angel an Land zieht.

Sören hat angebissen. Sören weist darauf hin, dass wir 2014 wohl schon im digitalen Flirtkontakt waren, dies aber zu nichts geführt hat. Er merkt auch an, dass er keine Karteileiche mehr sein möchte und schlägt in der ersten Nachricht direkt vor, dass wir zusammen ein Museum erkunden und uns anschließend einen Wein genehmigen.

Ohne noch groß hin und her zu schreiben, habe ich dem Vorschlag zugestimmt und eine Woche später (oder waren es bezogen auf 2014 vier Jahre?) war es soweit. Ich begab mich total unmotiviert zu dem Date und kam auch noch zu spät, da ich vorher nett mit Freunden Kaffee trinken war und mich gar nicht davon lösen wollte.

Auf dem Weg ins Museum habe ich mich mit der Straßenbahn verfahren. Aber hey, immerhin war er auch nicht pünktlich und so hatten wir gleich einen guten Start.

Das ist eben wie mit den Partys, auf die man gar keinen Bock hat, sich doch dahinbewegt und plötzlich wird es richtig gut. Klappt aber leider nicht bei jedem Date.

Wir stehen an der Museumskasse an und bevor ich ihn überhaupt kennenlernen konnte, stellte er mir schon Bekannte und Freunde vor, die die gleiche Idee hatten wie wir: an einem Herbsttag ins Museum gehen. Wieso auch nicht.

Im Museum selbst haben wir uns dann von Matisse zu Bonnard und Picasso vorgearbeitet und uns im Smalltalk über den jeweils anderen und zu den Motiven der Künstler ausgetauscht. Sören war am Ende spannender als die gesamte Exhibition.

Da wir uns gegenseitig interessant fanden, sind wir nach dem Museum weiter in eine Weinbar, die ihrem Namen alle Ehre gemacht hat. Die Gläser reihten sich genau wie unsere Themenwechsel aneinander. Nach einigen ordentlich alkoholisierten Traubensäften und einer Kleinigkeit zu essen, ging es für uns mit dem Rad weiter in die nächste mir unbekannte Bar, die auf den ersten Blick gar nicht als solche erschien, da wir vor einem Wohnhaus standen und zunächst klingeln mussten, damit uns ein adrett gekleideter Barkeeper die Tür öffnete, uns von oben bis unten musterte und dann an die Bar winkte, um die nächsten Gläser erklingen zu lassen.

Nach zwei weiteren Cocktails haben wir die Heimreise angetreten. Jeder unter sein eigenes Dach. Irgendwann ist auch der Alkoholpegel voll und man soll bekanntlich aufhören, wenn’s am schönsten ist.

Sören und ich waren mit unserem Kennenlernen noch nicht fertig. Bei unserem nächsten Date fanden wir uns in einem super kleinen Theater ein, bei dem man, egal von welchem Platz aus, wirklich alles sehen konnte: die Kekskrümel im Bart des Gastes in der letzten Reihe ebenso wie die Schweißperlen des Schauspielers auf der Bühne. Sehr familiär und kuschlig.

Nach der anschließenden Theaterbesprechung gemeinsam mit den Künstlern und Besuchern, sind wir in einer kleinen Bar abgestiegen, hatten uns aber bei all dem Wein (viel weniger als bei der ersten Begegnung) und Käse leider nicht mehr viel zu sagen und so war der Abend bereits nach wenigen Gläsern beendet. – Soll vorkommen.

Nachdem einige Tage ins Land gezogen sind, teilte Sören mir per WhatsApp mit, dass es zwischen uns nicht zu 100 Prozent passt und er keinen weiteren Sinn darin sieht, dass wir unser Kennenlernen fortführen. Ein wirklich netter Korb.

Seither frage ich mich: bei wem passt es eigentlich zu 100 Prozent?

Was ich aus dieser Begegnung mitgenommen habe:

  • das Museum meines Vertrauens wirbt immer gerne mit den Namen großer Künstler, um am Ende deren B-Ware-Bilder auszustellen (irgendwer muss sich diese auch anschauen)
  • Der Zauber eines Tinder-Dates, den der Wein gemacht, wirkt, wie der Wein, nur eine Nacht
  • die Weinbar schafft es in meine Orte in meiner kleinen Orientierungsapp
  • die Wohnhaus-Bar mit den sexy Barkeepern landet dort ebenfalls
  • das Theater kannte ich natürlich auch nicht und es wird abgespeichert
  • Sörens erstes Buch, welches er mir postalisch zukommen ließ und nun ausgelesen mein Bücherregal ziert (direkt neben dem Buch von Mr. 90€)