Wir liegen beide nackt im Bett, er schläft, ich bin wach, es ist kurz vor 6 Uhr, Zeit, aufzustehen, obwohl wir gerade erst ins Bett sind. Nicht, um zu schlafen.
Ich ziehe mich an, wecke ihn, damit er nicht hochschreckt, wenn die Tür ins Schloss fällt. Er wacht auf, sieht mich, sieht an sich runter, merkt, dass er nackt ist, wird panisch, steht auf, sucht seine Boxershorts, will in dem kleinen Hotelzimmer Schutz suchen, im Bad, findet die sichere Tür nicht, ich halte ihn fest, frage, was los ist… er sagt, er muss hier weg. Ich nehme seinen Kopf, schaue in seine Augen und sage „es ist alles ok – ich gehe jetzt – wir sehen uns später im Büro“, küsse ihn auf die Wange und gehe.
Auf dem Weg in mein Hotel hagelt es plötzlich SMS, von wegen, wie solle er das seiner Freundin erklären, was haben wir nur getan, was ist passiert usw.
Ich antworte „es ist nichts passiert, alles cool“, mache mich fertig, packe meinen Koffer, checke aus, fahre ins Office, starte in den Tag, leicht müde und verkatert, und er ist auch da. Schaut mir den ganzen Tag nicht ins Gesicht, hat vielleicht die Szenen der letzten Nacht vor Augen, in denen er mit mir schläft, sich von mir die Frage gefallen lassen muss, ob er schon mal eine Frau zum Orgasmus gebracht hat, welche er verneinen muss, ich ihn führe, seine Hand nehme, ihm zeige, was mir gefällt, ich komme, er nicht, er einschläft, ich wach bleibe, ich gehe, er mit seinen Gedanken im Zimmer bleibt.
Kennengelernt haben wir uns beruflich, beide wohnlich sehr weit voneinander entfernt haben wir stets nur via Messenger kommuniziert, uns nie gesehen, da wir beide in unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Neben all den Businessthemen, die wir abgeklappert haben, sind wir irgendwann dazu übergegangen, private Themen zu besprechen. Er fragt nach meiner Beziehung, ich nach seiner, was haben wir an den jeweiligen Wochenenden gemacht und so entwickelte sich die typische Berufsehepaarkonstellation, nur in digitaler Form, da wir uns nie gesehen haben und die auch, wie manche Ehe, nach und nach einschläft.
Bis zu dem Tag, an dem wir beide in einer südliche Großstadt auf eine Veranstaltung eingeladen sind, uns dort am Bahnhof treffen, gemeinsam in die nebeneinanderliegenden Hotels fahren, zur Abendveranstaltung gehen, dort unsere sprachliche Office-Ehe aufleben lassen, ansprechen, dass ich Single bin, er weiterhin in seiner Beziehung glücklich zu sein scheint.
Nach dem offiziellen Abendprogramm geht es weiter, in kleinerer Runde, ins Pub, danach in einen Club, in dem eine Studentenparty stattfindet, es rammelvoll ist, wir uns immer näherkommen, gezwungenermaßen, tanzend, flirtend, dennoch mit klitzekleinem Sicherheitsabstand, nur ab und an eine scheinbar zufällige Berührung.
Irgendwann ist es zu spät, zu heiß, zu laut, wir zu müde, wir wollen gehen, fragen den Rest der Truppe, keiner will mit, wir teilen uns ein Taxi, ins Hotel, seins, noch ab an die Bar, wir reden, trinken, schauen uns vielsagend in die Augen, wechseln zum Sexthema, er erzählt, dass seine Freundin ihm nicht mehr den Spaß im Bett bietet, den er möchte, braucht, wir reden uns heiß, finden uns anziehend, wissen es beide, sprechen es aus, es passiert – nichts.
Er bringt mich in mein Hotel, bleibt vor der Tür zurück, ich gehe grinsend schlafen, eine kurze Nacht, am nächsten Tag ab ins Office, straffes Programm, wir erarbeiten gemeinsam Themen, reden, als ob nichts gewesen wäre, kein Flirt, keine Sexgedanken.
Mittagspause, ich habe kurz Zeit für mich, checke meine Nachrichten, im Messenger, dem beruflichen, plötzlich erscheinen Nachrichten, von morgens um 4 Uhr. „Siehst Du, alles cool. – Nichts passiert. – Ich kenne schließlich Deine Zimmernummer nicht.“.
Zurück zur Tagesordnung, nichts anmerken lassen, die Nachrichten einfach ignorieren, darüber sinnieren, was ich letzte Nacht wohl verpasst habe, das Gewissen einschalten, das ihn und seine Freundin vor meinem inneren Auge erscheinen lässt, den Tag ausklingen lassen, heimfahren, Haken dran und weiter gehts.
Sechs Monate später, zurück ins Hier und Jetzt: wir beide nackt im Hotelzimmer. Tags zuvor gab es einen Workshop, an dem wir noch nicht viele Berührungspunkte hatten, erst abends fanden wir zueinander, zunächst nur Bier trinkend, dann wieder tanzend, erneut in der Hotelbar. Same procedure as every time.
An der Hotelbar waren wir diesmal nicht allein, es war ein weiterer Kollege mit uns dort, der irgendwann auf Toilette verschwand. Den Moment nutzten wir, um uns auf den ersten Kuss zu einigen, alkoholgetränkt, was natürlich keine Ausrede ist. Weder für mich Single, noch für ihn Vergebenen. Was wir in dem Moment beide wollten, war klar. Sex. Den es gab. Und sich dann herausstellte, dass er eigentlich keine Ahnung von dem hat, was er da tut. – Another one!
Im Laufe des Tages wirkt er desillusioniert, abwesend, verstreut, nicht bei der Sache, reagiert selten und ignoriert mich völligst. Bis wir in einem Büro gemeinsam ein Thema erarbeiten müssen, ich ihn direkt anspreche, Bezug nehme auf etwas, was er zuvor in großer Runde gesagt hat. Der Moment läuft wie in Zeitlupe ab. Während ich ihn direkt anspreche, schaut er ins Leere. Als er antwortet, fährt sein Kopf langsam hoch, seine Augen finden meine, er antwortet monoton, sein Mund spricht, er schaut an mir vorbei, der Blickkontakt ist vorüber, er schaut wieder weg.
Der Tag geht vorbei, alle verabschieden sich, er kommt zu mir, gibt mir die Hand (was diese zwölf Stunden vorher gemacht hat, weiß ich noch gut), wünscht mir eine gute Heimreise und verschwindet.
Was ich aus dieser Begegnung gelernt und mitgenommen habe:
- never fuck the company (es ist jedes Mal kompliziert)
- der Messenger benötigt dringend ein Update
- zum Sex gehören immer zwei dazu und den schwarzen Peter lasse ich mir anlässlich seines Fremdgehens nicht zuschieben
- er ist Meister des Verdrängens oder aber er hatte den Blackout seines Lebens und konnte deswegen ohne Gewissensbisse seine Freundin ehelichen (Glückwunsch an der Stelle), da ist er aber nicht der Erste und nicht der Letzte
- dem Kollegen, der uns dabei gesehen hat, wie wir beide in sein Zimmer verschwunden sind, weismachen zu wollen, dass ich mir nur das kleine Badezimmer anschauen wollte, konnte er sich schenken, denn da hätte er ihm gleich sagen können, dass er mir seine Briefmarkensammlung zeigen möchte.
- technische Beratung habe ich zuhauf von ihm angenommen und bin nun dank ihm Besitzerin einiger toller Gadgets, die ich beinahe täglich nutze